Gesundheitsversorgung von Schweizer Rentnern in Italien: kritische Punkte zwischen KVG, S1 und SSN
Wir haben zahlreiche Meldungen von Schweizer Rentnern erhalten, denen nach ihrem Umzug nach Italien – oder mit der Absicht, dorthin zu ziehen – von der gemeinsamen Einrichtung KVG, die die Schweizer Krankenkassen koordiniert, die Befreiung von der Verpflichtung zur Zahlung der Versicherungsprämien an ihre Krankenkasse verweigert wurde, obwohl sie die Befreiung ordnungsgemäß innerhalb der vorgesehenen Frist (3 Monate nach dem Umzug oder dem ersten Bezug der Rente) beantragt hatten und nachweisen konnten, dass sie über einen in Italien gültigen Kranken- und Unfallversicherungsschutz verfügen.
Das Problem ist Teil des allgemeineren Themas der Übertragbarkeit der Gesundheitsversorgung von einem Land in ein anderes, das in Bezug auf die Schweiz einige Besonderheiten aufweist, die wir im Folgenden untersuchen werden.
Die allgemeinen Rechtsvorschriften
Die Übertragbarkeit der Gesundheitsversorgung zwischen europäischen Ländern wird durch die Rechtsvorschriften der Europäischen Union zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit geregelt (Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004; Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009).
Obwohl die Schweiz nicht Mitglied der EU ist, hat sie bilaterale Abkommen mit der Union unterzeichnet, die die Übertragbarkeit von Sozialversicherungsansprüchen, einschließlich des Zugangs zur Gesundheitsversorgung, gewährleisten (Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Freizügigkeit: Anhang II – Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit). Daher gelten die oben genannten europäischen Vorschriften auch für die Beziehungen zur Schweiz.
Das Formular S1
Das Formular S1 ist ein Dokument, das von der zuständigen Behörde eines EU-Landes (das wir als „Herkunftsland” bezeichnen) an eine versicherte Person (Rentner, entsandter Arbeitnehmer, Familienangehöriger usw.) ausgestellt wird, die sich in einem anderen EU-Land (das wir als „Aufnahmeland” bezeichnen) niederlässt, aber weiterhin Anspruch auf Gesundheitsversorgung zu Lasten des Landes hat, das das Formular ausstellt. Das Formular S1 muss bei der Krankenkasse des Wohnsitzlandes (z. B. ASL oder ATS in Italien) registriert werden.
Es sei gleich klargestellt, dass in diesem Fall das Aufnahmeland die Gesundheitsversorgung (die jedoch vom Herkunftsland erstattet wird) nur innerhalb seines Hoheitsgebiets erbringt. Für die Gesundheitsversorgung während eines Aufenthalts in anderen EU-Ländern und der Schweiz muss die versicherte Person beim Herkunftsland eine Bescheinigung beantragen, die die Gültigkeit dieser Versorgung bestätigt. Mit anderen Worten: Das Gastland stellt in keinem Fall die Europäische Krankenversicherungskarte (TEAM) aus, sondern nur eine „nationale Karte” (die im Gegensatz zur TEAM auf der Rückseite nicht ausgefüllt ist, sondern nur Sternchen aufweist). In diesen Fällen muss die TEAM oder ein gleichwertiges Dokument beim Herkunftsland beantragt werden, mit dem das Versicherungsverhältnis besteht.
Das (theoretische) Wahlrecht nach schweizerischem Recht
Art. 2 Abs. 6 der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) legt Folgendes fest: „Auf Antrag sind Personen, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union wohnen, von der Versicherungspflicht befreit, sofern sie gemäß dem Abkommen über die Freizügigkeit und dessen Anhang II davon befreit werden können und nachweisen, dass sie sowohl in ihrem Wohnsitzstaat als auch während eines Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in der Schweiz krankenversichert sind. Es handelt sich dabei um das sogenannte Wahlrecht, d. h. das Recht, sich für eine Krankenversicherung im Gastland zu entscheiden und auf die obligatorische Schweizer Krankenversicherung zu verzichten. Es muss jedoch gesagt werden, dass dieses Wahlrecht rein theoretischer Natur ist, da die oben genannte Regelung als Voraussetzung für die Befreiung verlangt, dass der Schweizer Versicherte nachweist, dass er nicht nur in seinem Wohnsitzland, sondern auch in der EU und in der Schweiz versichert ist. Dieser Versicherungsschutz wird in der Regel durch die TEAM gewährt, aber wie wir oben gesehen haben, wird die TEAM nicht an Rentner aus anderen EU-Ländern/der Schweiz ausgestellt, die beispielsweise nach Italien gezogen sind und das Formular S1 erhalten haben. Noch weniger wird die TEAM in Italien an diejenigen ausgestellt, die nicht im Besitz des Formulars S1 sind und eine freiwillige (kostenpflichtige) Anmeldung beim Nationalen Gesundheitsdienst beantragt haben. Einige Schweizer Versicherte haben, um die Anforderungen der OAMal zu erfüllen, angeboten, private Policen abzuschließen, die das Krankheits- und Unfallrisiko in der EU und in der Schweiz abdecken, aber die gemeinsame Einrichtung LAMal hat diese Vorgehensweise nicht akzeptiert und verlangt zwingend den Besitz einer TEAM, um die Befreiung von der obligatorischen Schweizer Versicherung zu ermöglichen. Andere sind freiwillig dem SSN beigetreten und zahlen einen Beitrag auf der Grundlage ihres Einkommens (mit einem Mindestbeitrag von 2.000 Euro pro Jahr), befinden sich jedoch in der unangenehmen Situation, zweimal für die medizinische Versorgung bezahlen zu müssen, da sie keine Befreiung von der Zahlung der Schweizer Krankenkassenbeiträge erhalten haben.
Eine Ungleichbehandlung für in Italien lebende Schweizer Rentner?
Schweizer Rentner mit Wohnsitz in Italien, die gemäß Art. 18 des Doppelbesteuerungsabkommens sowie den einschlägigen italienischen Steuergesetzen in der Regel einer Steuer von 5 % auf ihre Renten unterliegen, beklagen eine Diskriminierung gegenüber denjenigen, die als Bezieher einer italienischen Rente automatisch in das nationale Gesundheitssystem aufgenommen werden und somit ebenfalls automatisch die TEAM erhalten. Man könnte meinen, dass dies darauf zurückzuführen ist, dass eine Besteuerung von 5 % auf die Rente äußerst günstig erscheint, wenn man bedenkt, dass ein italienischer Rentner im Durchschnitt mit einer Steuer von 23 % seiner Rente besteuert wird, aber diese These ist nicht überzeugend. Überzeugender ist hingegen die Überlegung, dass die Finanzierung des Gesundheitssystems in der Schweiz und in Italien sehr unterschiedlich ist. Während das Gesundheitssystem in Italien auf einer indirekten, im Wesentlichen steuerlichen Finanzierung basiert, da es vom Staat und den Regionen durch die IRPEF-Steuer und eine zusätzliche Regionalsteuer finanziert wird, gilt in der Schweiz ein obligatorisches Versicherungssystem: Die Bürger zahlen monatliche Beiträge an private Kassen und beteiligen sich direkt an den Kosten ihrer medizinischen Versorgung. Mit anderen Worten: In der Schweiz gibt es weder Sozialabgaben für das Gesundheitswesen noch eine allgemeine Steuerabgabe wie in Italien. Die Gesundheitsausgaben werden hauptsächlich durch die individuellen Beiträge finanziert, die jeder Einwohner, auch Rentner, zahlt. Wenn der Versicherte sein Verhältnis zu seiner privaten Krankenkasse beendet, bleibt er ohne medizinische Versorgung und hat keine Möglichkeit, diese Versorgung in irgendeiner Weise zu „übertragen”, wenn er beschließt, in die EU auszuwandern.
Eine mögliche (wenn auch kostspielige) Lösung
In dem oben beschriebenen Szenario bleibt einem Schweizer Rentner, der nach Italien oder in ein anderes EU-Land zieht, nichts anderes übrig, als sein Versicherungsverhältnis mit der Schweizer Krankenkasse aufrechtzuerhalten und es nach Italien zu übertragen, indem er das Formular S1 beantragt, das bei der Kasse, mit der er den für Italien gültigen Vertrag abgeschlossen hat, angefordert und bei der ASL (örtliche Gesundheitsbehörde) seines Wohnortes eingereicht werden muss. Nur 14 Schweizer Krankenkassen bieten diesen Versicherungsschutz an; die Liste und die entsprechenden monatlichen Prämien finden Sie unter folgendem Link: https://www.priminfo.admin.ch/downloads/gesamtbericht_eu.pdf. Diese Lösung ist deutlich teurer als die Kosten, die normalerweise mit der Versorgung durch das italienische Gesundheitssystem verbunden sind, bietet jedoch den Vorteil, dass man sich sowohl in Italien als auch in der Schweiz behandeln lassen kann (überprüfen Sie die Police vor der Unterzeichnung). Derzeit beträgt der niedrigste Jahresbeitrag 3'600 CHF (Helsana); die Leistungen der verschiedenen Kassen sind im Wesentlichen identisch. Alternativ könnte sich der Schweizer Rentner freiwillig beim italienischen Nationalen Gesundheitsdienst anmelden, müsste jedoch selbst für seinen Versicherungsschutz bei Aufenthalten in der Schweiz und in der EU sorgen und hätte dennoch die Last, mit einer Beschwerde beim Bundesgericht gegen die Ablehnung seines Antrags auf Befreiung von der Schweizer Prämienzahlungspflicht durch die Gemeinsame Einrichtung KVG vorzugehen. Mit welchem Ergebnis, ist derzeit nicht bekannt.
Rechtsanwalt Andrea Giovanni Pogliani
